Milieustudie

Der Autor dieser aufschlussreichen Analyse hat vielleicht bei der Beschreibung der größten Immigrantengruppe in den Stadtteilen Prenzlauer Berg und Friedrichshain die Charakteristika “Kehrwoche einführen” und “Latte schlürfen” unterschlagen, seine Intentionen sind jedoch eindeutig. Diesen Graffito zum Revierkampf in den Szenevierteln – neudeutsch Gentrifizierung genannt – gibt es auf einer Bank im Volkspark Friedrichshain zu lesen.

Ökonomischer Unsinn

Rafael Correa - "Ökonomisch Unsinnig"

„Die Wirtschaft ist dazu da, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Immer mehr Menschen aber verlieren ihr Zuhause, obwohl es eigentlich genug Wohnraum gibt. Aber die Familien, die ein Dach über dem Kopf brauchen, haben keines, während die Banken, die weder Haus noch Wohnung brauchen, diese im Überfluß haben. Das ist nicht nur unmoralisch, sondern ökonomisch völlig unsinnig.“

Ecuadors Präsident Rafael Correa zu den in der Wirtschaftskrise dramatisch zunehmenden Zwangsräumungen in Spanien während seines Vortrages „Wege aus der Krise“ in der TU Berlin gestern abend.

Die Rache Gottes

Lautete nicht das erste Gebot jener Republik, in der der Ochse den Esel nie aufhielt oder so ähnlich: Du darfst keine anderen Götter haben außer Stalin, Marx und Erich. Und wenn doch, dann nur so heimlich, dass selbst die HMs und IMs, die ihre Nase gern überall reinsteckten, den Braten nicht rochen. Und dann das! Als sie endlich aufging, die Sonne, über dem ersten Arbeiter- und Bauern-Staat auf deutschem Boden, da stand der Sozialismus, der lieber überholte als einzuholen, ganz unter dem Zeichen des Kreuzes. Nur der teuflische Klassenfeind wusste wohl warum!

Denn von wo aus man auch blickte auf den hoch aufragenden Telespargel, dem neuen Wahrzeichen der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, stets überstrahlte von ganz weit oben das himmlische Symbol der Christen die Heerscharen der irdischen Hämmer und Sicheln. Sie muss Honecker, Mielke und Konsorten getroffen haben wie ein Blitz aus heiterem Himmel, diese gleißende Rache Gottes.

Der Berliner Fernsehturm in der aufgehenden Märzsonne – über die (noch real existierenden, aber von kapitalistischen Bausündern bedrohten) Segmente des Antifaschistischen Schutzwalls an der East-Side-Gallery hinweg fotografiert.

Deutsche Wenden

Welches Foto passt am Besten zum 21. Jahrestag der Wiedervereinigung? Bilder von der Einheitsparty am Brandenburger Tor, wo viele Würtemberger aber so gut wie keine (Ost-)Berliner feiern? Von Wendehälsen aus der IM-Partei oder der wankelmütigen Mutti vom meckleburgischen Lande oder dem korpulenten pfälzischen Aussitzer? Nein, mein Bild des Tages soll ein wirkliches Symbol für das heutige, das vereinigte Deutschland sein. Für ein nachwendiges Deutschland.

Meine Wahl fiel auf ein Foto, vor kurzem aufgenommen an einer Stelle, wo einst die Mauer die beiden Teile Berlins unerbittlich trennte. Kaum waren 1990 die Grenzanlagen geschleift, besetzte hier eine Handvoll Menschen den nackten ehemaligen Todesstreifen zwischen den damals noch eigenständigen Bezirken Treptow und Kreuzberg. Die Invasoren bewohnten baufällige Bauwagen und verwandelten das leergeräumte Stück Ödland auf der Lohmühleninsel in ein grünes Refugium. Ihre Wagenburg existiert noch heute, auch wenn von den frühen Mitstreitern fast keiner mehr dort wohnt. Doch auch die heutigen Bewohner zeigen, dass sie mit Deutschlands politischen und gesellschaftlichen Volten umgehen können. So kommt in den Wagen nur Strom aus der Steckdose, der ganz den Leitlinien der Energiewende entsprechend mit eigenen Solarzellen produziert wird. Daher ist dieses Bild – wie ich finde – das richtige für den 21. Geburtstag des wiedervereinigten Deutschlands. Was meint ihr?

Guerilla-Gardening

Guerilla-Gardening

Eine öde Brachfläche in Mitte. Im Hintergrund eine Industrieruine. Und das Spreeufer. Umgeben von rostigen Zaunfragmenten. Überwuchert von spröder Ruderalvegetation. Ein schmaler Trampelfpad. Im Hintergrund eine Industrieruine. Versteckt, irgendwo zwischen den wuchernden Stauden und Gräsern ein kleines, von einem Flatterband eingerahmtes Viereck. Darin Kohl, Bohnen, Blumen.

Ausgefallene Revolution

Ausgefallene Revolution

Die Würfel sind gefallen, die Stimmen ausgezählt. Kein politisches Erdbeben, kein umsturz am Frankfurter Tor in Friedrichshain, die Revolution fällt aus. Hauke von der Überpartei/Bergpartei hat nicht genug Stimmen für den Berliner Frühling (oder besser Herbst) einfangen können bei der gestrigen Wahl. Nur FDP-Niveau. Aber trotzdem keine Krisenstimmung. Der „linke Hund“ wird es in fünf Jahren sicherlich noch einmal probieren.

Die Qual der Wahl

Die Qual der Wahl

Noch stehen sie wie hier in der Karl-Marx-Allee in Reih und Glied. Oder sie hängen an Laternenpfählen, in Bäumen oder von Brücken. Nebeneinander, untereinander, übereinander. Bunte Konterfeis, mehr oder weniger omnipräsent. Versprecher mit Politikhintergrund unterschiedlichster Coleur. Zuweilen nicht ganz ernst gemeinte Slogans. Kurz: die verbale und optische Interpretation einer Flötenmelodie aus einer Kleinstadt an der Weser.

Doch heute ist der Tag der selektiven Wahrheit. Es wird gewählt und abgewählt. Und spätestens morgen früh sind die meisten der griffigen Werbesprüche reif für den Müllhaufen der Geschichte. Dann, wenn die Ergebnisse feststehen. Wenn die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist. Wenn die Linken wieder auf den Oppositionsbänken Platz nehmen müssen. Wenn die Sperrmüll-Kolonnen der BSR anrücken. Wenn die konstituierende Sitzung des neuen Berliner Abgeordnetenhauses beginnt. Wenn sich viele Versprechen als Versprecher erweisen. Aber vielleicht kommt es auch alles ganz anders.

Linker Hund im Hasenfell

Linker Hund im Hasenfell

Langohrenviagra – kostenlos und auf Rezept – scheint das Hauptanliegen der fusionierten Berg- und Überpartei bei der Wahl am Sonntag zu sein. Oder wie sonst soll man sich den leicht meschuggen Gesichtsausdruck des kleinen Hasens (oder ist es ein großes Karnickel?) namens Hauke erklären, der für diese Gruppierung in Lichtenberg kandidiert. Überhaupt seltsam, dieses Rammler-Outfit. Denn eigentlich ist Hauke Stiewe in seinem Revier (bzw. Wahlkreis) eher als „linker Hund“ denn als Hasenfuß bekannt. Sein Wahlplakat, das ich am Frankfurter Tor fotographiert habe, läßt allerdings auch andere Interpretationen zu.

Kein Laber-Rhababer!

Kein Laber-Rhababer

Ein Plakt. Drei Forderungen. Konkret, glasklar, präzise. Das ist die Sprache der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (kurz: „Die Partei“). Die sagt klar, was sie will. Das gefällt den Berlinern. Da können die zu Trillionen an den Laternenpfählen baumelnden Kandidaten der Berlin-Versteher, Möchtegern-Blockwarte, Mauerschützenverehrer oder Reichenbeschenker einpacken. Die Menschen in der Hauptstadt haben die inhaltsleeren, nebulösen und vagen Versprechnungen ihrer traditionellen Polit-Clowns satt. Sie wollen klare Worte, vom unverbindlichen Polit-Talk haben sie genug. Sie wollen Martin Sonneborn („Die Partei“-Spitzenkandidat bei der Berlin-Wahl am kommenden Sonntag) als Regierenden! Und sie wollen Knut zurück! Und die Renate braucht wirklich eine neue Frisur!

Die Wahlwerbung der „Partei“ habe ich im Bahnhof Alexanderplatz gesehen. Wer es noch nicht gemerkt hat, es handelt sich dabei um eine Kapmagne, hinter der u.a. das Satire-Magazin „Titanic“ steht. Mehr dazu findet man auf der Homepage von „Die Partei“.

Der Mensch bezwingt den Kosmos

Der Mensch bezwingt den Kosmos

So lautet der Titel von Fritz Eisels 18teiligem Mosaik, das sich wie ein Band um drei Seiten des einstigen DVZ (Datenverarbeitungszentrum) an der Breiten Straße in Potsdam zieht. Gemeint sein kann allerdings nur die Eroberung des sozialistischen Teils des Universums, denn auf den Segmenten finden sich nur Szenen aus der Frühzeit der sowjetischen Raumfahrt. So sind z.B. Juri Gagarin (1961 der erste Mensch im All) und Alexsei Leonow (wagte 1965 den ersten Weltraumspaziergang) abgebildet.

Das Kunstwerk ist eines der wenigen Überlebenden des sozialistischen Realismus, die sich in Potsdam noch finden lässt. Sozialistischer Realismus – der Begriff ist ja irgendwie schon ein Widerspruch in sich. Aber auch Eisels Überschrift über seinem monumentalen Comic erscheint heute angesichts des maroden Plattenbaus noch eine Milchstraßenlänge realitätsferner als schon zu Erichs Zeiten.

Trotzdem kann nur hoffen, dass das Mosaik irgendwie erhalten bleibt. Schließlich steht es für eine Epoche der (ost-)deutschen Kunstgeschichte, aus der schon viel zu viele Werke rückstandslos getilgt worden sind.

Alien-Demo gegen Prutzen-Kulisse

Blue Sheep

Nieder mit den Stadtschlossplänen! Vor ein paar Tagen haben einige der bevorzugt unter dem Sammelbegriff „Volksvertreter“ auftretenden Individuen beschlossen, mehr als als eine halbe Milliarde Euro fremdes Geld für eine Kulisse ohne Kuppel zu verbauen. Während die trägen Berliner lieber in der Sonne bruzelten, formierte sich wenigstens eine Herde empörter Aliens während ihrer Stipvisite an der Spree zum Widerstand gegen diesen Unsinn. In Gestalt von blauen Klon-Schafen halten die extraterrestischen Gegner eines neuzubauenden Preussen-Klotzes nun den für das Projekt vorgesehenen Bauplatz besetzt. Die drei Rädelsführer – pardon Leitschafe – Wilhelm, Friedrich und Friedrich-Wilhelm (im Vordergund, von links nach rechts) betonten in einer recht einsilbigen Presseerklärung, dass sie diese Bankrotterklärung zeitgemäßer und verantwortungsvoller Stadtplanung mit allen Mitteln zu verhindern suchen.

Die radauerprobte aber unterbesetze hauptstädtische Gendamerie kann die Schlagstöcke aber stecken lassen. Die Viecher mit dem ultramarinen (nicht preussisch-blauem) Teint geben sich friedfertig und tolerant. Allerdings wollen die blaublütigen Wiederkäuer die Rasenflächen des Humboldtforums erst dann räumen, wenn sichergestellt ist, dass die historisch und ästhetisch überholte Hohenzollern-Heimstatt nicht ins Zentrum Berlins betoniert wird. Mal schauen, ob das Trio und sein Gefolge mit ihren Protesten erfolgreich sein werden. Ihr Wahlspruch allerdings (Alle sind gleich, jeder ist wichtig!) – zeugt jedoch ein wenig von naiver Unkenntnis über die irdischen Gepflogenheiten. Den wer den kollektiven Herdentrieb (immer dem Mammon nach) und die egozentrische Sturheit der hiesigen Hüter und Mehrer des Gemeinwohls (die Spezie wird Politiker genannt) in dieser Stadt und in der Bundesregierung kennt, kann daran so recht nicht glauben. Ich drücke den sympathischen schafsköpfigen Außerirdischen dennoch die Daumen.

(Das Foto enstand heute auf dem Humboldtforum, wo die blaue Herde des Blauschäfers und Aktionskünstlers Rainer Bonk derzeit steht.)

Boulevard-Applaus

Boulevard-Applaus

Wowi in seiner Lieblingsrolle: als Feier-Biest. Der Anlass diesmal: der Startschuss für die Veranstaltungen zum 125jährigen Kudamm-Geburtstag. Die dauern noch bis Oktober. Gestern dagegen beschränkte sich das Feiern für den Regierenden auf einen Gang über den eigens auf dem Prachtboulevard ausgelegten roten Teppich, Kuchenschneiden und -verteilen vor den Überbleibseln des Kranzler, eine Droschkenfahrt mit nervösen Gäulen und ein paar am Himmel explodierende Feuerwerkskörper. Es scheint ihm dennoch Lust und Freude bereitet zu haben. Fotografiert vor dem Kranzler-Eck.

Wenn friedlich tödlich heißt…

Wo friedlich tödlich bedeutet

Explosionen, Zerstörung, Verseuchung, Sperrzone, Evakuierung, Liquidatoren, Zwangsumsiedlung, Notunterkunft, Vertriebene, Flucht, Angst, Verzweiflung, Sterben, Tod! Nein, das ist keine Kriegsberichterstattung, sondern nur das Standardvokabular, mit denen gemeinhin die Folgen realer Störfälle bei der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernernergie beschrieben werden – siehe Tschernobyl und Fukushima.

Aber kann man eine Technologie, die im Falle des offensichtlich gar nicht so unwahrscheinlichen Versagens das Potential hat, hunderttausende Menschen zu töten und weite Gebiete für unbestimmte Zeiten unbewohnbar zu machen, überhaupt friedlich nennen? Großmännische Vorstände von Versorgern und von strahlenden Lobbyisten umsorgte Politiker beschwichtigen da gerne mit Floskeln vom ‚vertretbaren Restrisiko‘. Vertretbar für wen? Kann irgendjemand bei zwei apokalyptischen Unfällen innerhalb eines Vierteljahrhunderts überhaupt noch das Wort ‚Restrisiko‘ guten Gewissens in den Mund nehmen?

Gestern jährte sich zum 25. Mal das Reaktorunglück von Tschernobyl. Im Gedenken daran gab es in Berlin zahlreiche Veranstaltungen. Dabei stand natürlich das Schicksal der Menschen in den besonders betroffenen Gebieten der Ukraine und Weißrusslands im Mittelpunkt. Aber es wurden auch die Fragen nach dem zukünftigen Umgang mit der Atomenergie – wie hier im Französischen Dom – intensiv diskutiert. Das Ergebnis war ein klarer Konsens: die Kernenergie ist wenn überhaupt nur noch für eine sehr begrenzte Zeit des Übergangs zu akzeptieren. Allerdings bleibt es eine harte gesellschaftliche Aufgabe, einige ignorante ‚Ewig-Gestrige‘ in den Prozess der energiepolitischen Evolution einzubinden. Gestern gelang das nicht, glänzte die Atomlobby doch nur durch kollektive Abwesenheit. Wahrscheinlich fürchten sich die Energie-Dinos vor dem öffentlichen Eingeständnis, dass sie – ganz so wie Goethes Zauberlehrling über seine Geister – keine wirkliche Kontrolle mehr über ihre ach so friedliche Technologie haben.

Mission accomplished!

Das Resultat steht fest: Die Wähler waren nicht bereit, die Eskapaden des Herrn Ministerpräsidenten Mappus länger zu akzeptieren (Wortlaut leicht abgewandelt nach Mappus, Stefan. 2010). Unglaublich: das am Samstag während der Anti-Atomkraft-Demo im Berliner Tiergarten noch plakativ geforderte Mappus-Moratorium ist gestern Realität geworden. Jetzt bleibt zu hoffen, dass die neue gewählte grün-rote Landesregierung es tatsächlich auch besser macht. Schaun wir mal!